Normalerweise zeichnet sich zur Halbzeit des Vorwahlkampfes um die Kandidatur zum US-Präsidenten ein klarer Trend ab. Doch diesmal ist fast alles anders. Die meisten Republikaner erschrecken über den, der bei ihnen die besten Aussichten hat. Bei den Demokraten staunen die meisten, dass sich Hillary Clinton noch nicht durchgesetzt hat. Froh und echt zuversichtlich scheint niemand mehr zu sein.
So überraschte Clintons demokratischer Widersacher, der Sozialdemokrat Bernie Sanders, letzten Dienstag fast alle mit seinem Vorsprung im wichtigen Industriestaat Michigan mit der Autostadt Detroit und den vielen in der Autoindustrie beschäftigten Arbeitern im Übergwändli („Blue-collor-workers“): Ein Gewinn, der ihm nur gelang, weil er ein politisches Kernstück der etablierten Demokraten seit Präsident Clinton fundamental in Frage stellte, den Freihandel. Dass auch Trump in diesem Punkt den Mainstream der Republikaner in Frage stellt und deshalb bei vielen Arbeitern auch gut ankommt, tröstet ebenso niemanden, ganz im Gegenteil.
Bei den republikanischen Wählerinnen und Wählern hat mit dem Businessmann Donald Trump als Sieger in vierzehn von 24 Bundesstaaten derjenige am meisten Rückenwind, der von der Mehrheit der Mitgliedern der republikanischen Partei und deren Parteispitze abgelehnt wird. Trump gewann anfangs dieser Woche in Mississippi, Michigan und Hawaii – drei demographisch, wirtschaftlich und kulturell sehr unterschiedliche Bundesstaaten – trotz all der vehementen Kritik, die in der Presse, dem Fernsehen und den für Dutzende von Millionen geschalteten negativen Fernsehspotts in den Tagen zuvor auf ihn niedergeprasselt war. So manche glauben, diese Kritik nütze Trump sogar mehr als sie ihm schadet. Denn sie kommt von genau jenen, die in Washington das Sagen zu haben scheinen und gerade deswegen von vielen frustrierten republikanischen Anhängern vehement abgelehnt werden.
Anlässlich der grossen Debatte unter dem republikanischen Kandidaten-Quartett von vorgestern Donnerstagabend in Orlando (Florida) machte der viel „präsidialer“ und „integrativer“ auftretender Trump deutlich, dass er ganz bewusst einen Umbau der Basis und Programmatik der republikanischen Partei beabsichtigt, personalisiert und durchsetzen will. Er will sie auch im Norden der USA dem „normalen Volk“ öffnen und die Interessen der einfachen Arbeiter und Angestellten vertreten lassen. Program-matisch soll sie isolationistischer werden – weniger militärische Interventionen à la Bush -, sozialliberaler („Keine Infragestellung der bisherigen Sozialleistungen“), nationalistischer und weniger willfährig gegenüber finanzstarken Interessengruppen wie der Pharmaindustrie oder den Versicherungen. Auch in letzterer Beziehung tönt Trump manchmal ganz ähnlich wie Bernie Sanders. So machte sich am Donnerstagabend Trump sogar Sanders Standardsatz zu eigen, als er vom „kaputten System der Wahlkampffinanzierung“ sprach. Die bisher massiv höhere Wahlbeteiligung bei den Republikanern bucht Trump ganz auf sein Konto und diese seine neue politische Identität.
Erleichterung verschafft dem republikanischen Establishment in Washington auch die aussichtsreichste Alternative zu Trump nicht. Denn er ist eher eine zwar umgänglichere, aber extremere Variante von Trump und keine echte politische Alternative. Senator Ted Cruz gewann nach „seinem“ Texas zwar vor einer Woche auch dessen Nachbar Kansas und Maine im Nordosten sowie letzten Dienstag Idaho im Nordwesten und kommt so auf acht der 24 Bundesstaaten, in denen sich die Republikaner schon entschieden haben. Doch Cruz surft ebenso auf anti-systemischen Wellen wie Trump, verteufelt Washington im allgemeinen und Präsident Obama im besonderen sogar noch ruchloser, und verkörpert programmatisch ein rechtsextremere, asozialere Variante von Trump: Er ist sehr evangelistisch, gesellschaftlich reaktionär, genau so nationalistisch, aber militaristischer, neoliberaler und antistaatlicher.
So hoffen die alten „moderaten“ Republikaner um den Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Paul Ryan, insgeheim immer noch darauf, dass die beiden übrigen aus dem Quartett – Rubio und Kasich – in deren Staaten (Florida und Ohio) am kommenden Dienstag gewinnen. So könnt es passieren, dass am Ende der Vorwahlen, vor der grossen sommerlichen Delegiertenversammlung in Cleveland, keiner der vier die für die Nomination notwendigen 1237 Delegierten für sich gewinnen kann. Die kommende Woche ist diesbezüglich deshalb vorentscheidend, weil von jetzt an in den Vorwahlstaaten der Gewinner alle Delegierten für sich gewinnen kann und diese nicht mehr wie bisher und bei den Demokraten immer proportional je nach Vorwähler-Anteil auf die Kandidaten verteilt werden. Gewinnt Trump trotz aller Kritik am kommenden Dienstag aber in Florida, Illinois ,Ohio, North-Carolina und Missouri, so ist ihm die Nomination kaum mehr zu nehmen.
Hillary Clinton ist nach der knappen Niederlage in Michigan deshalb nervös, weil Illinois und Ohio am kommenden Dienstag demographisch und kulturell ganz ähnlich sind. Sie möchte verhindern, dass Bernie Sanders auch dort die Mehrheit der weissen männlichen Demokraten gewinnt, für die ihre wirtschaftlichen Sorgen das hauptsächlichste Wahlkriterium sind. Sie zeigte dies bereits an der Diskussion mit Sanders am Mittwoch und in Interviews am Donnerstag, als sie plötzlich Präsident Obama kritisierte, zu wenig gegen die Dumping-Stahl-Importe aus China zu tun, und versprach, die Auslagerung von ganzen Fabriken nach Mexiko und China zu verhindern. In North Carolina wird Hillary Clinton ebenso sicher gewinnen wie bisher in allen südlichen Staaten der ehemaligen Confoederierten mit ihrem hohen Anteil Schwarzer. So hat auch der Buchhändler Gody Morrison in Mississippi Hillary Clinton seine Stimme gegeben: “Sie hat vor ihrer politischen Karriere als Zwanzigjährige zwei Jahre lang in South-Carolina und Alabama mit schwarzen Frauen zusammen gelebt, diesen juristisch geholfen und die Lage der schwarzen Kinder analysiert. Später lebte sie jahrelang als Firstlady in Arkansas und nahm sich vor allem dem Schicksal der schwarzen Kinder an. Dabei lernte sie auch mit den Afro-Amerikanern so zu reden, dass diese sich heute mit ihr identifizieren konnten. Das hilft ihr bei den farbigen Frauen im Süden, welche die Mehrheit der Mitglieder der Demokraten stellen und zu 80% ihr die Stimme geben. Unter den schwarzen Arbeitern im Norden, in Detroit zum Beispiel, waren es bloss etwas mehr als die Hälfte.“