Nach den samstäglichen Siegen der favorisierten Donald Trump in South-Carolina bei den Republikanern (10% Vorsprung) und Hillary Clinton bei den Demokraten in Nevada (5% Vorsprung) und dem Ausstieg des vor einem Jahr noch als haushoher Favorit geltenden Jeb Bush, der Dritte, sowie den Ergebnissen der aufschlussreichen Nachwahl-Befragungen der Wählerinnen und Wähler beginnen viele die Botschaften nun zu entschlüsseln, welche Befindlichkeiten die Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Wahl nzum Ausdruck bringen wollen. Diese Subtexte der Vorwahlergebnisse sagen viel über die Spannungen, welche die amerikanische Gesellschaft derzeit umtreiben.
Dass der New Yorker Milliardär Donald Trump in allen Counties (BezirkeN) von South Carolina oben auf schwang – und so gemäss den republikanischen Regeln alle Delegiertenstimmen aus diesem Staat für sich gewann – und den frommen Texaner Cruz selbst bei den evangelistischen Wählern sowie den Senator aus Florida, Marco Rubio, trotz dessen Unterstützung durch die beliebtesten regionalen Politikerinnen, den schwarzen Senator und die Gouverneurin, eine Seconda aus Indien, derart klar auf die Plätze verwies, unterstrich die bisher wichtigste Botschaft aus den Vorwahlen in den bisher vier Staaten: Viele Amerikanerinnen und Amerikaner sind sehr verärgert, schwer enttäuscht von ihren etablierten Parteigrössen, trauen ihnen wie anderen etablierten Grössen nicht mehr über den Weg und suchen verzweifelt nach Politikern, die deutlich machen, dass und weshalb es ihnen schlecht geht, und die bereit sind, gründlich Remedur zu schaffen.
Hauptgrund dieser tiefen Unzufriedenheit vieler Amerikanerinnen und Amerikaner ist die wirtschaftliche Situation. Der grossen Mehrheit der US-Bevölkerung geht es immer noch schlechter als vor 2008, dem Beginn dessen, was hier in Anlehnung an die „Grosse Depression der 1930er Jahre“, die „Grosse Rezession“ genannt wird, der tiefsten Krise
der US-Wirtschaft seit 80 Jahren. Damals schrumpfte das US-Bruttosozialprodukt um 5,1 Prozent, zwischen Februar 2008 und Februar 2010 gingen 8,7 Millionen Arbeitsplätze verloren und die Arbeitslosenquote stieg im Landesdurchschnitt von 4,7% im November 2007 auf den Spitzenwert von 10 Prozent im Oktober 2009. South-Carolina gehört zudem zu jenen Staaten, in den die wirtschaftliche Situation jeweils etwa 50% schlimmer ist als im Landesdurchschnitt und die farbige Mehrheit der Bevölkerung negativer betroffen ist als die Weissen.
Seither hat sich die Wirtschaft zwar wieder erholt. Doch es gibt immer noch drei Millionen Arbeitsplätze weniger im Land als 2008. 8,5 Millionen US-Amerikaner sind immer noch ganz lohnarbeitslos. 54 Millionen leben unter der Armutsgrenze. Die Reallöhne der grossen Mehrheit der Beschäftigten stagnieren seit zehn Jahren. Die Löhne für Arbeit bleiben gleich, nur die Kapitalrenditen nehmen zu. Das macht die wenigen ganz Reichen noch reicher. Die grosse Mehrheit der Menschen profitiert viel weniger vom Aufschwung, die gesellschaftlichen Ungleichheiten bezüglich der Lebenschancen und dem Lebensstandard sind selbst in der Periode des wirtschaftlichen Aufschwungs während der vergangenen fünf Jahre grösser geworden.
Deshalb konzentriert sich bei den Demokraten Bernie Sanders, der Senator aus Vermont, auf die Dringlichkeit von ganz grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Reformen. Und deshalb kommt er überall, wo er sich Gehör verschaffen kann, so gut an. Selbst in Nevada gewann er die Mehrheiten der jungen Demokraten unter 30 Jahren und derjenigen mit einem spanischen Migrationshintergrund. Hillary Clinton begann ihren Wahlkampf unter den Demokraten Nevadas im vergangenen August mit 22 Vollprofis ,die bis zur Jahreswende 1100 Veranstaltungen organisierten, was ihr damals in den Meinungsumfragen einen Vorsprung von 40 Prozent auf Sanders einbrachte. Sanders erste Profi-Helferin begann in Nevada im Oktober zu arbeiten; heute kann er sich auf 12 Sekretariate im ganzen Staat abstützen, er vermochte Hunderte von Helfern zu mobilisieren, die vielen kleinen Spenden aus New Hampshire ermöglichten ihm in den letzten vier Wochen viel Fernsehwerbung, seine Grundsatzkritik und seine Inspirationen kamen an, Clinton Vorsprung am Samstag schrumpfte auf fünf Prozent.
Auch der Republikanische Spitzenmann Trump kritisiert vehement die herrschende US-Wirtschaftspolitik. Auch er führt sie teilweise auf den Einfluss von gut organisierten Verbandsinteressen im Kongress zurück, die sich diese mit den Dutzenden von Millionen von Dollars erkaufen, die sie den Kandidaten spenden. Trump verspricht, Millionen von Arbeitsplätzen zurückzubringen, die wegen Freihandelsverträgen an China, Mexiko und Japan verloren gegangen seien. So sagten 36 Prozent aller republikanischen Wähler, denen die wirtschaftliche Situation das wichtigste Wahlkriterium ist, sie hätten deshalb Trump gewählt; 45% jener, die sich eine gründliche Veränderung wünschen und die Mehrheit derjenigen, die sich ausgesprochen ärgern, taten dies ebenso. Auch die Mehrheit der in Fabriken arbeitenden republikanischen Wählerinnen und Wähler South-Carolina’s wählten Trump , der sozialpolitisch viel zugänglicher ist als alle seine republikanischen Mitbewerber.
Was dem republikanischen Establishment schwer zu denken muss: Noch nie in der Geschichte hat der republikanische Gewinner der beiden Vorwahlen in New Hampshire und South Carolina die Nomination zum Präsidentschaftskandidaten nicht gewonnen; da Trump morgen Dienstag auch in Nevada abräumen dürfte, müssen sich einige mit dem Gedanken abfinden, dass es Trump trotz allem schaffen könnte. Nicht einmal der Papst vermochte ihn, beziehungsweise seinen Zustrom, zu verunsichern mit dem Hinweis, dass Christen Brücken und nicht Mauern bauen sollten, wie dies Trump an der Grenze zu Mexiko zur Bekämpfung der illegalen Immigration zu machen verspricht.
Liest man nun die einleitende Analyse des französischen Ökonomen Thomas Piketty zur gegenwärtigen Situation in Europa in einem eben in der „New York Review of Books“ veröffentlichten „Manifest für einen (europäischen) New Deal“, so werden die Parallelen zur Befindlichkeit vieler US-Amerikaner mehr als deutlich: „Die extreme Rechte hat in Frankreich innert wenigen Jahren eine Zustimmung von 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler gefunden. Dies hat verschiedene Ursachen: Die steigende Arbeitslosigkeit mit der damit verbundenen Fremdenfeindlichkeit, eine tiefe Enttäuschung über die Regierungsarbeit der Linken, das Gefühl, alles schon einmal versucht zu haben und dass nun die Zeit für ein Experiment mit etwas ganz Neuem gekommen ist. Das sind die Konsequenzen des katastrophalen Umganges mit dem finanzpolitischen Kollaps, der in den USA 2008 begann, und der auf Grund unserer eigenen Handlungen zu einer andauernden europäischen Krise wurde.“
Bei allem Respekt Herr Gross, Sanders Ergebnis mag überraschend sein, Clinton bleibt aber die klare Favoritin unter den Demokraten. Die Wettquoten implizieren eine 85% Wahrscheinlichkeit, dass sie die Präsidentschaftskanditatin sein wird (electionbettingodds.com). Ich weiss, sie mögen Märkte nicht, aber ich bin mit Ihnen bereit zu wetten, dass die USA die erste Präsidentin im November wählen werden.
Vielen Dank Herr Moretti, Sie haben völlig Recht, sie ist die grosse Favoritin und ich will gar nicht dagegen wetten. Und sie wäre sicher nicht die schlimmste Möglichkeit. Doch mich interessiert viel mehr, weshalb sie die Favoritin ist, obwohl sie in vielerlei Hinsicht so wenig überzeugt und auch viele Menschen viel weniger für sich gewinnen kann, als sie vor wenigen Monaten noch gedacht hat. Beispielsweise halten sie gemäss allen Umfragen über 80% auch ihrer Wähler für wenig glaubwürdig ! Und ich frage mich auch, weshalb sogar eine ehemalige Aussenministerin weltpolitisch nicht mehr beschlagen ist, immer noch so kriegerisch Argument, ebenfalls nie von der UNO spricht oder den Amerikanern die Realität näher bringt, wonach die welt nicht länger von den USA regiert werden will und diese dies auch nicht länger tun können.
Vielen Dank Herr Gross. Clinton überzeugt nicht, weil sie der Elite angehört. Diese Wahl ist eine Rally gegen die Eliten, angeführt von Millionen von normalen Bürgern. Das hat m.E. nicht so sehr mit den konjunkturellen Bedingungen in den USA zu tun (diese sind, let’s face it, gut), sondern mit der technologischen Revolution der Social Media, die die Mobilisierung der schweigenden Mehrheit so leicht gemacht hat. Ich wünsche Ihnen noch eine gute Reise across the States!
Aber dann stellt sich doch die Frage, weshalb „diese Elite“, ganz unabhängig von deren politischer Identität, so verhasst ist bei so vielen, ganz unterschiedlichen Menschen jeglicher Identität. Die soialmedia sind ja nur eine Ausdrucksform durch die dieser Hass deutlich gemacht wird, sie sind nicht die Quelle des Hasses selber. Eine These , die diese Frage zu beantworten sucht, ist, dass diese Elite viel zu lange viel zu viel versprochen hat. Dies kann sein. Jedenfalls macht sie dann aber einfach weiter und verspricht weiter viel. Eine andere Antwort wäre, dass diese Elite eben vielen Menschen gar nicht dient. In diesem Fall wär dann der Aerger, der Widerstand und die Suche nach Alternativen freilich sehr berechtigt. Ich glaube jedenfalls nicht, dass dieser Graben vor 20 Jahren schon so existierte; freilich gab es auch 60er Jahre schon mächtige Soziale Bewegungen gegen das Establishment als es noch keine socmed gab , die Motivation muss damals also noch fast grösser gewesen sein. Wobei damals nicht alle „oben“ einfach in den gleichen Korb des E. gelegt worden sind, man konnte zwischen Nixon und Robert Kennedy unterscheiden, auch zwischen Mc Govern oder Bush.